Sonntag, 11. März 2012

Auf in den Osten

Meinen ursprünglichen Plan, von der West- bis zur Ostküste zu reisen, hatte ich während der letzen Monate in der Provinz British Columbia ein wenig aus den Augen verloren. Es gab einfach viel zu viele schöne Gegenden und Regionen zu entdecken – die charmanten Gulf Islands mit nahezu tropischen Klima, Regenwälder in Tofino, die Sunshine Coast entlang des Pazifiks, atemberaubende Bergwelt in den Kootenays, zahlreiche Seen und Farmland im Okanagan, die Wildnis in der Skeena Area, Metropolen wie Vancouver und Victoria, Skigebiete im Slocan Valley und verzauberte Orte wie Nelson oder Johnsons Landing. Mit Sicherheit hätte der Bundesstaat auch noch genug weitere interessante Gebiete parat gehabt, um mich für die kommende Monate zu beschäftigen. So habe ich es zum Beispiel noch nicht geschafft, die Inselgruppe mit dem Namen Haidaa Gwaii im Norden British Columbias - auch bekannt als die „Galapagos Inseln des Nordens“ - oder die kleinste Wüste Nordamerikas im Süden des Landes zu besuchen. Nichts desto Trotz war es an der Zeit, der Westküste den Rücken zu zukehren und weiterzureisen.
Wanderung zum Elephant Mountain, BC

Goodbye Beautiful British Columbia!

Die Vorstellung, in , mir bis zu diesem Zeitpunkt noch völlig unbekannte, Gebiete vorzudringen und meinen kanadischen Horizont über mehrere Provinzen hinaus auszubreiten hat mich sehr begeistert. Denn mein aufrichtiges Statement “I love Canada“ schien ein bisschen neben der Tatsache zu verblassen, dass ich bis jetzt nur einen der insgesamt 10 Bundesstaaten und 3 Territorien kennengelernt hatte. Daher lautete mein neuernanntes Ziel, meinen Fuß einmal in jede der Provinzen zu setzten. Und wie ließe sich diese Mission wohl besser bewältigen, als mit dem altbewährten Zug durch das Land zu reisen? In Kanada gibt es nur ein einziges Schienennetzwerk, welches praktischerweise von Westen nach Osten verläuft und sowohl von Güterwagen als auch von dem Personentransport der Gesellschaft “VIA Rail“ befahren wird. 
Zug mit einigen Passagier-, Aussichts- und Speisewagons

Bahnhof in Winnipeg, MB

Für junge Reisegäste gibt es ein vergleichsweise kostengünstiges Angebot für einen Zugpass, mit dem man innerhalb einer festgelegten Zeitspanne von 21 Tagen so weit reisen kann, wie man möchte. Zufällig beträgt der Preis für dieses Zugticket fast den gleichen Betrag, den ich dank zahlreicher Aufrufe meines WWOOF-Videos innerhalb des Wettbewerb gewonnen habe. Dieser Wink des Schicksals hat mich in meiner Planung bestärkt, so dass ich Ende Januar den Reisepass in den Händen hielt.
Mein Abenteuer begann am 19ten Januar, als ich den Bahnhof in Vancouver betrat.
Was die Zugfahrt an sich betrifft, so kann ich nur von schönen Landschaften und interessanten Bekanntschaften berichten, abgesehen von den dreieinhalb Büchern die ich während der gesamten Fahrt zur Unterhaltung konsumiert habe. Den Umständen entsprechend waren die Nächte, die ich meist eingerollt zwischen zwei der gepolsterten Sitze verbracht habe, nicht gerade erholsam, aber im Vergleich zum nackensteifenden Greyhoundbus eine wahre Wohltat. Nach einiger Zeit erreichte ich meine erste Zwischenstation; den verträumten Ort Jasper, der direkt in dem gleichnamigen Nationalpark in den Rocky Mountains des Bundesstaates Alberta liegt. Um den Rahmen meiner Berichterstattung nicht zu sprengen, lasse ich an dieser Stelle lieber Bilder für mich sprechen.

freundlicher aber respekt einflößender Hirsch im Nationalpark, AB

Windsurfer auf zugefrorenem Patricia Lake

Insel auf einem gewaltigen Bergsee

verträumtes Jasper, kaltes Jasper (-30°C)

Schneebedeckte Bergwelt

Eisschwimmen am Patricia Lake

neugieriges Reh, mir persönlich ein wenig behaglicher als Hirsche

Nach einigen Tagen ging es dann auch schon wieder weiter und ich hatte mich mental bereits auf einen dreitägigen Aufenthalt im Zugabteil eingestellt. Denn so lange dauert es, bis man die endlosen Prärien im Landesinneren durchquert hat und schließlich die Metropole Toronto erreicht. Allerdings hat mir ein Unfall auf den Schienen, der sich einige Tage vor meiner Abreise ereignet hatte, einen Strich durch die Rechnung gemacht; ein Güterwagen war auf einer Brücke mitsamt der selbigen in die Tiefe gestürzt, so dass wir Überführung nicht mehr passieren konnten. Die gut organisierte VIA Rail Crew hatte jedoch einen Notfallplan bereit, so dass alle Reisegäste ohne Umschweife zu dem nahen Flughafen in Calgary transportiert wurden, um von dort aus einen Flieger nach Winnipeg zu nehmen. Das ganze Verfahren verlief ohne weitere Zwischenfälle, allerdings habe ich den Bundesstaat Saskatchewan dabei überflogen und somit mein Ziel, jede Provinz zu betreten, nicht erfüllen können. Zwar wird meine Sammlung daher wohl niemals komplett werden, aber auf Grund fehlender charakteristischer Merkmale des Bundesstaates Saskatchewan und nicht allzu großem Unterschied im Vergleich zur benachbarten Provinz Manitoba, bleibt eine mögliche Rückkehr meinerseits wohl nach wie vor eher unwahrscheinlich. Anschließend ging es jedoch wie geplant weiter und am nächsten Tag erreichte ich Toronto in dem Bundesstaat Ontario; eine der wenigen Metropolen im Osten des Landes und gleichzeitig Wohnort von 20 % der landesweiten Bevölkerung. 

Ausflug zu den Niagarafällen, Ausblick zu den USA auf der rechten Seite
Gewaltige Wassermassen des Horseshoefalls
grauer Tag in Toronto, Kensington Market, ON
im Hintergrund Torontos Wahrzeichen- der Turm

 
Nach einer turbulenten Großstadtzeit ging es dann weiter gen Osten, in die frankophone Provinz Québec. Es ist leicht zu vergessen, dass Kanada ein bilinguales Land ist, wenn man sich größtenteils an der Westküste aufhält. Ab und zu trifft man zwar auf einen “Québecoise“ , aber im großen und ganzen konzentriert sich diese Bevölkerungsgruppe in - wie könnte es auch anders sein - Québec und einigen nördlichen Teilen von New Brunswik und Nova Scotia. Als ich jedoch am Bahnhof Ville de Québec ankam, wehte mir der Geruch von Baguettes und Fromage um die Nase. Zur Begrüßung gab es zwei schnelle Küsse auf die Wangen und ich wurde ohne Vorwarnung mit betont französischer Kultur und Tradition konfrontiert, die wohl in Europa nicht authentischer hätten sein können. Es hat ein wenig Zeit und Übung gekostet, bis sich der imaginäre Schalter in meinem Gehirn von Englisch auf Französisch umgestellt hatte, aber danach funktionierten die elementaren Kommunikationsformeln einwandfrei. Québec City zählt zu den ältesten Städte in Nordamerika und besitzt einen wunderschönen Altstadtkern, der von einer Stadtmauer umgeben ist. Die Straßen sind mit Kopfsteinen gepflastert und jede Mahlzeit wird mit Ahornsirup – einem der Hauptwirtschaftszweige – versüßt.

alte Stadtmauer in Québec City, QC

historische Altstadt und eine Idee von Ahornsirup in der Luft

ein Bett aus Eis...

...in einem Hotel aus Eis

Aussicht über Levis, auf der anderen Seite des St. Lawrence Stroms

Kanurennen über die Eisschollen des Flusses

Chûtes de Montgomercy, zugefrorene Wasserfälle bei Nacht


Meine kurzen Zwischenstopps in den jeweiligen Orten habe ich übrigens der Homepage “couchsurfing.com“ zu verdanken; eine Internetplattform, die die Kontaktaufnahme zwischen durchreisenden Touristen und Stadtbewohnern ermöglicht, welche wiederum eine freie Couch oder sonstige Schlafmöglichkeit zur Verfügung stellen. Somit hatte ich nicht nur ein festes Dach über dem Kopf, sondern auch jedes mal außerordentlich freundliche Gastgeber, die sich außerdem als kompetente und hilfreiche Stadtführer erwiesen haben. Außerdem lernt man bei dieser Art des Reisens zwangsläufig waschechte Einheimische kennen, die einen meist mit nützlichen Insidertipps versorgen und vermeidet die Touristen, auf die man sonst Hostels oder Jugendherbergen treffen würde. Die Gültigkeit meines Zugtickets neigte sich jedoch schnell dem Ende entgegen, so dass ich bald zu meiner vorläufigen Endstation aufbrach; Halifax im Bundesstaates Nova Scotia. Diese Stadt ist größenordnungsmäßig ungefähr mit Hannover vergleichbar, nur ist die Bevölkerung auf Grund der zwei Universitäten durchschnittlich um einiges jünger.
Des weiteren besitzt Halifax einen schönen Hafen und liegt an der langersehnten Atlantikküste. Endlich, nach einer 5 000 km langen Reise und dem Durchqueren von vier Zeit- und einer Sprachzone, hatte ich die Ostküste erreicht.
stürmische Zeit am Halifax Pier, NS

während eines Spaziergangs im Plesant Point Park

betont farbenfrohe Straßenfassaden

Kanone in der stadtüberwachenden Zitadelle

Nach fast einem Monat des ewigen Hin und Her, nach kurzen Nächten und stetig wechselnder Bekanntschaften, nach schweren Rucksäcken und Orientierungslosigkeit muss ich jedoch eingestehen, dass Reisen ganz schön anstrengend ist. Daher habe ich mich um so mehr gefreut, wieder mit dem Wwoofen in Whycocomagh, einem winzigen Ort auf der Insel Cape Breton im Norden Nova Scotias, anzufangen. In dieser Jahreszeit fällt landwirtschaftlich betrachtet natürlich nicht all zu viel Arbeit an, aber glücklicherweise bin ich auf einen Schreinermeister gestoßen, der hauptberuflich Holzlöffel herstellt und sich sehr über meine Anwesenheit bzw. Hilfe gefreut hat. So habe ich neben alltäglichen Arbeiten wie Kochen, Geschirrspülen und Feuerholzstapeln auch noch das Handwerk der Löffelanfertigung erlernt, welches – entgegen aller eventuell vorhandenen Vorurteile – sehr komplex und interessant ist.

1. grobe Löffelform aussägen

2. Löffel mit Schleifpapier in Form bringen

3. Löffelkuhle ausbohren

Ort des Geschehens

Löffelserie aus wildem Kirschholz nach weiterem Schleifen

Unterkunft in Whycocomagh, Cape Breton, NS


Nachdem ich alle Geheimnisse des Löffelhandwerks ergründet hatte, ging es sogleich weiter zu einer nicht weniger interessanten Stelle; einer Ahornsirup Farm in Mabou. Der Ahornsaft beginnt dann zu fließen, wenn in der Nacht Temperaturen von ca. -5°C, und tagsüber ca. +5° C herrschen. Denn dann dehnt sich das, in den Zellen des Ahorns gespeicherte, Kohlenstoffdioxid aus und übt einen Druck auf das sich ebenfalls in den Zellen befindliche Wasser aus, in dem auch ein Teil des Zuckers gelöst ist. Das Wasser kann ungehindert durch die Zellmembran diffundieren und so kommt es im gesamten Baum zu einem Wasserüberdruck, den man ganz leicht abzapfen kann. Dazu braucht es nur eine Bohrmaschine und ein passendes Verbindungsstück von Baum zu Schlauch, der wiederum direkt in das Siruphaus führt, wo das dünnflüssige Ahornwasser dann über dem Holzfeuer eingedickt wird. Das Verhältnis von Sirup zu Wasser beträgt dabei 1 / 40. Die Arbeit in den letzten Tagen bestand dabei darin, mit Schneeschuhen und Ausrüstung im Rucksack über die Hügel zu wandern und Ahornbäume anzubohren sowie mit dem Schlauchsystem zu verbinden. Insgesamt waren wir sieben Leute und es hat und drei volle Tage gekostet, bis wir die insgesamt 3 500 Bäume angeschlossen hatten. Doch es hat sich gelohnt und der süße Sirup hat die Strapazen der harten Arbeit mehr als wett gemacht.

die Crew: auf zu frischen Taten!

beim Anbohren im Wald

Zuckerahorn mit Verbindungsstück

Sapsucker- kleine Kostprobe des süßen Wassers

Bassin, in dem der Ahornsaft von allen angezapften Bäumen gesammelt wird, bis er später eingekocht wird

Zuckerhaus am Black River

Am Abend gab es dann die Möglichkeit, die Kultur Cape Bretons zu erkunden . Die Insel ist stark von Schottischen und Irischen Einflüssen geprägt, so dass ich wahrer Fiddle Musik lauschen konnte und den traditionellen Square Dance der Region zu tanzen gelernt habe. Mein persönliches Highlight war allerdings ein Spaziergang am Strand von Port Hood, wo die Eisschollen auf dem Wasser das Licht des Sonnenuntergangs zurück reflektierten und so das Meer in Flammen aufgehen ließen.
Insgesamt fühle ich mich hier in Nova Scotia sehr wohl, und wenn ich nun jemandem erkläre, warum ich Kanada so gerne mag, kann ich auch auf Beispiele außerhalb der Grenzen von British Columbia verweisen. Die Bundesstaaten New Brunswik, Prince Edward Islands sowie Neufundland und Labrador stehen noch auf meiner Liste, allerdings warte ich wohl bis zum Frühling, bis all der Schnee geschmolzen ist. Bis dahin bin ich hier glücklich.
Eisschollenwanderung am nahen Meer

Sonnenuntergang am zugefrorenen Strand

Port Hood by the Sea, Cape Breton, NS




1 Kommentar:

  1. Und ich dachte schon, diesen Bericht werden wir nie sehen. Zum Glück gibt es an der Heimatfront Berichterstatter, welche über dein buntes Treiben berichten, nur fehlten leider die herrlichen Bilder. I keep my fingers crossed for the days to come . . .

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